Digital, Wissenschaftlich & Gleichberechtigt
Als IT- und Bildungsforscherin im EduTec-Team engagiere ich mich ehrenamtlich in der Kommunal- und Landespolitik. Da gibt es viele Bereiche, wo ich immer wieder merke, dass der Praxistransfer aus der Wissenschaft in die Politik fehlt oder noch nicht ausreichend stattfindet. Das betrifft auch mein Forschungsgebiet, der Einbindung vielfältiger und weiblicher Perspektiven in die digitale Transformation dessen wie wir künftig leben, lernen und arbeiten.
Für die Politik, die ich mache, kann man ganz grundsätzlich sagen, dass ich Gleichberechtigung fördere, da sie sozialen Wandel zu einer Priorität und nicht zu einem nachträglichen Gedanken macht. Geschlechtsspezifische Ungleichheit ist ein Querschnittsthema, das in allen digital berührten gesellschaftlichen Bereichen Anwendung findet. Ich denke Gleichberechtigung in allen Politikbereichen mit – insbesondere in der Digitalpolitik.
Frauen* machen die Hälfte der Weltbevölkerung aus, in Europa wie in Hessen, sind aber nur 17 % der Spezialist*innen in der Informations- und Kommunikationstechnik Frauen*. Zukunftsprognosen erwarten, dass in den nächsten Jahren mehr als 90% der Arbeitsplätze IT-Skills erfordern werden. Damit Frauen den Wettbewerb entscheidend mitgestalten können, arbeiten wir aktiven Politiker*innen daher auf allen Ebenen daran, das Gender-Gap in MINT-Berufen zu schließen.
Wir wollen Frauen* und Mädchen* in MINT-Ausbildungen und Berufen fördern, um den Herausforderungen der Zukunft gewachsen zu sein und Gleichberechtigung und weibliche Repräsentation in der digitalen Arbeitswelt auch in Hessen zu stärken. Auf EU-Ebene gibt es bereits gute Beispiele für Länder und Branchen übergreifende Maßnahmen, um Mädchen* und Frauen* in technischen Berufen und Firmen zu empowern und die Anzahl sowie Sichtbarkeit von Frauen* in der IT zu erhöhen.[1]
Folgendes ist mir dabei besonders wichtig:
- Verbesserung des Zugangs zu digitaler Bildung und Abbau von Stereotypen im MINT-Unterricht von Anfang an
Wie sehr die Wahrnehmung im frühkindlichen Alter und in der Pubertät die Wahl des Berufs mitbestimmt, wurde an vielen Stellen in der Wissenschaft untersucht. Fakt ist: In der Bildung existieren Stereotype, die Mädchen* schon von klein auf davon abhalten sich weiter mit Technik und IT zu beschäftigen – ebenso wie es Jungen* davon abhält sich sozialen oder Care-Berufen zu widmen. Das hängt einerseits mit der fehlenden gesellschaftlichen Anerkennung und Attraktivität der Care-Arbeit zusammen, andererseits mit Rollen-Stereotypen, die bereits in der Schule befördert werden. Weibliche Förderung ist nicht mit einem „Girls-Day“ erledigt. Wir vertreten die Ansicht, dass inklusive und nachhaltig gedachte Projekte wie; „Code-Camps for Girls“, hessische Technik-Wettbewerbe sowie die Förderung demokratischer und interaktiver Formate wie „Code for Climate“, „Schüler*innenfirmen“, „Jugendpreise“, „Jugend gegen Diskriminierung“, „Anti-Hate-Speech Schultage“ und letztendlich auch die geschlechtergerechte Darstellung von sozialen wie technischen Berufen in Unterrichtsmaterialen[2] langfristig hilft Stereotype abzubauen. Die Förderung des Einsatzes moderner und interaktiver pädagogischer Methoden und Materialien im MINT-Unterricht wird die Begeisterung für Technik und technische Berufe aller Schüler*innen gleichermaßen steigern.
- Gleichberechtigung muss sichtbar sein in technischen Berufen als treibende Kraft für Fortschritt und Qualitätsentwicklung
Es braucht weibliche Vorbilder, um Stereotype in der IKT und Digitalbranche abzubauen und Mädchen* zu motivieren technische Berufe zu ergreifen, das zeigt die Empirie[3] seit Jahren. Umso wichtiger ist es, die Sichtbarkeit und Repräsentation von Frauen*, die bereits in der Branche arbeiten zu verbessern. Wir wollen Frauen insbesondere darin unterstützen wirtschaftlich-nachhaltige IT-Produkte, Firmen und Firmen-Strukturen aufzubauen, denn gerade die kleinen und mittelständischen Unternehmen in Deutschland sind Innovationstreiber*in und brauchen unsere Unterstützung sich sozial, ökologisch und wirtschaftlich nachhaltig entwickeln zu können. In öffentlichen Diskussionsrunden zu technischen Themen, in Medienberichten oder auch Vorständen/Aufsichtsräten sind Frauen im Sektor nicht sichtbar und teilweise sogar ausgeschlossen[4]. Wir fordern eine geschlechterparitätische Quote sowie die Förderung der geschlechtergerechten Berufung von Expertinnen* in assoziierte Gremien, Funktionen und in medialen Formaten voranzubringen.
- Transparenz hilft den Gender Pay Gap in der IKT- und Digitalbranche zu verringern
Bei der statistischen Betrachtung von Gehaltsunterschieden wirkt sich insbesondere aus, dass Frauen* in der IKT-Branche kaum in den Führungsetagen vertreten sind und damit durchschnittlich weniger als Männer verdienen. Diese Benachteiligung ergibt sich aber auch durch strukturelle Faktoren, wie die fehlende geschlechtergerechte Aufteilung und Anerkennung von Care-Work, familienunfreundliche Arbeitskulturen und Arbeitszeiten-Regelungen und mangelnde Flexibilität in der Kinderbetreuung. All diese Umstände sorgen für geringere Verdienste und hinzu kommt frauenspezifisch tatsächliche schlechtere Entlohnung gleicher Arbeit.
Wir unterstützen daher den Aufbau eines „Gleichstellungs-Index“ in technischen Unternehmen. Wir möchten Anreize (wie die Nennung in der Nachhaltigkeitsstrategie des Landes, Auszeichnungen etc.) für hessische Unternehmen schaffen, sich am Gleichstellungs-Index, also einem sog. “Women in Digital – Scoreboard“, zu beteiligen. Mittel- bis langfristig arbeiten wir darauf hin, dass alle Arbeitgeber verpflichtet sind einen Gleichstellungsindex zu veröffentlichen. Vorbild dafür könnten die Initiativen aus UK und Skandinavien sein: der Gleichstellungs- Index bildet die Kategorien „Einstellung“, „Bindung“ und „Gehaltsstatistiken“ von Frauen und Männern in den einzelnen Unternehmen ab. Er bildet einen Durchschnittswert, der a) den Unternehmen einen Maßstab dafür gibt, den eigenen jährlichen Fortschritt zum geschlechtsspezifischen Lohngefälle zu erfassen und b) die Attraktivität von den Unternehmen mit gutem Index für Frauen* steigert. Sie haben dadurch einen öffentlich-zugänglichen und vergleichbaren Indikator für die Auswahl ihres Arbeitgebers. Konkurrenz um Geschlechtergerechtigkeit der Unternehmen ist dabei Innovationstreiber in der Einstellungspraxis und Anreizsystem für Frauen zugleich.
- Diskriminierung in der Technologie und in IT-Produkten muss verhindert werden (KI)
Nur durch die Einbindung vielfältiger Perspektiven, von Frauen* und anderen marginalisierten Gruppen in der Branche, können wir gesellschaftlichen Fortschritt und diskriminierungsfreie IT-Produkte und Arbeitsumfelder schaffen. Leider ist die fortbestehende Diskriminierung unterschiedlicher sozialer Gruppen der Gesellschaft besonders stark in einer zukunftsträchtigen und für gesellschaftliche Steuerungsprozesse immer relevanter werdenden Sparte wie der KI-Technologie abzulesen.
Hier herrscht der von Boulamwimi (Algorithmic Justice League 2020) geprägte „kodierte Blick“ d.h. Voreingenommenheit und Unfairness von großen, sich rasend schnell global verbreitenden Algorithmen, die Ungleichheiten und damit die Marginalisierung von sozialen Gruppen vertiefen. Sie führen zu ausgrenzenden Erfahrungen dieser Menschen und diskriminierenden Praktiken von Unternehmen sowie öffentlichen Einrichtungen, denen wir politisch entschlossen entgegentreten. Die Weichen für eine diskriminierungsfreie digitale Welt müssen jetzt gestellt werden.
Feministische Digitalpolitik bedeutet für uns Solidarität mit allen digital unterrepräsentierten sozialen Gruppen und beinhaltet daher alle Maßnahmen, die der Gleichberechtigung und der Abschaffung von Diskriminierung dienen.
„Wenn wir also annehmen, dass jede*r Bürger*in soziale Netzwerke und Medien nutzt und Fehler (Bias) in der Gesichtserkennungssoftware der meisten Betreiber existieren, dann können diese Fehler dazu führen, dass darüber diskriminierende soziale Strukturen repliziert werden: So werden z.B. Frauen* gegenüber Männern in Recruiting Tools benachteiligt (Geschlechterdiskriminierung), die Hautfarbe einer Person als Indikator für die Anfälligkeit zu Kriminalität (Rassismus) bewertet und der Wohnort einer Person als Indikator für deren Kreditwürdigkeit genommen (Klassismus). Auch andere Bereiche des öffentlichen wie privaten Lebens werden zunehmend über Algorithmen wie Krankheitsdiagnose-Software und Produktpreise in Online-Handel geregelt [5].“
Wie also können wir Diskriminierung vorbeugen und die Vorteile der Technik dennoch nutzen: Indem wir einen inklusiveren Code und inklusivere Codierungspraktiken fördern. Feministische Digitalpolitik hat darauf eine klare Antwort: Es geht um das „wer“ und „wie“ und „warum“ der KI: Es beginnt bei den Menschen.
- Wir fördern über Forschungsprojekte, Preisverleihungen und Hochschul-Kampagnen in Kooperation mit hessischen KMUs, die Vielfältigkeit in Entwicklungs-Teams und Firmen.
- Wir setzen uns dafür ein, dass eine IKT-Strategie in den Nachhaltigkeitsbericht des Landes Hessen aufgenommen wird.
- Wir unterstützen die Bestrebungen der Wissenschaft, KI-Trainings-Datensets nach klaren methodischen Vorgaben – auch in der Wirtschaft – zu trainieren und zu evaluieren.[6] Wir schaffen Anreize durch z.B. die Aufnahme eines Ethikkodex zur Bewertung von KI-Produkten in öffentlichen Vergaberichtlinien.
- Wir sprechen uns dafür aus, die Bestrebungen auf EU-Ebene ethische Prinzipien in der KI-Entwicklung und –Anwendung verbindlicher zu gestalten, zu unterstützen. Die Transparenz, Erklärbarkeit, Replizierbarkeit, Verständlichkeit, Offenheit, Konsistenz, Zugänglichkeit, Fairness, Inklusion, Gerechtigkeit, Sicherheit, der Nutzen fürs Gemeinwohl sowie die (soziale wie ökologische) Nachhaltigkeit der KI sind Indikatoren, die insbesondere für KI-Anwendungen im öffentlichen Sektor ausgearbeitet werden müssen.[7]
- In Hessen unterstützen wir den Ausbau der Hochschulforschung im Bereich der KI und die Weiterentwicklung von Plattformen, die Voreingenommenheit erkennen können. Wir befürworten die Forschung an inklusiveren Trainingssets sowie die Berücksichtigung der sozialen Auswirkungen der Technologie.
- Schutz von Demokratie heißt auch Schutz von Demokrat:innen vor Diffamierung im Netz – Wir wollen eine Anti-Hate-Speech Kampagnen in Hessen
Gerade im Netz sind Frauen* überdurchschnittlich häufig Diffamierungen, der Verletzung von Persönlichkeitsrechten und Hass-Kampagnen einzelner User oder -Usergruppen ausgesetzt. Dies hält Frauen* und andere Minderheiten im Internet davon ab ihre Meinung zu äußern, sich frei im Netz zu bewegen sowie gleichberechtigt und ausreichend geschützt an gesellschaftlichem und politischem Diskurs und dessen Gestaltung im Netz teilzunehmen. Der dringende Bedarf einer Regelung zeigt sich insbesondere im Fall von Politiker*innen, denen es bis zuletzt verwehrt blieb, sich gegen derartige Anfeindungen und Verletzungen zu schützen und strafrechtlich vorzugehen. Wir wollen daher auf Landesebene mit einer digitalen Anti-Hate-Speech-Kampagne, unsere Politiker*innen auf Bundesebene darin unterstützen, die Aufmerksamkeit für das Thema und die Notwendigkeit einer Regelung zum Schutz von partizipativen und persönlichen Rechten aller Menschen und insbesondere Frauen* im Netz zu erhöhen.
Ich baue auf das Wissen, was in der Forschung geschaffen wird, um es in den gesellschaftlichen und politischen Diskurs weiterzutragen. Aus der Wissenschaft kommend möchte ich als Politikerin informiert entscheiden können und diese Entscheidungen transparent und nachvollziehbar machen.
[1] http://digital-manifesto.eu
[2] Mehr dazu unter: Özgümüs A, Rau HA, Trautmann ST and König-Kersting C (2020) Gender Bias in the Evaluation of Teaching. Front. Psychol. 11:1074. doi: 10.3389/fpsyg.2020.01074
[3] Beispielsweise: Herrmann et al. (2026): The Effects of a Female Role Model on Academic Performance and Persistence of Women in STEM Courses, Basic and Applied Social Psychology, pp. 258-268. doi.org/10.1080/01973533.2016.1209757
[4] Hessisches Statistisches Landesamt (2020) ibid.
[5] Siehe Cathy O’Neils Buch „Math Destruction“ über sogenannte weit-verbreitete mysteriöse und destruktive Algorithmen, die immer mehr Bereiche unseres Lebens beeinflussen.
[6] Beispiel DFKI Methoden-Katalog
[7] Dafür werden auch kooperative Formate mit führenden Tech-Unternehmen, die bereits Ethikrichtlinien erarbeiten, sowie dem BSI initiiert werden.